Der traditionsreiche Dax-Konzern Linde wird dem Index nur noch wenige Wochen angehören. Wie die Gesellschaft am Mittwoch auf einer außerordentlichen Hauptversammlung im amerikanischen Danbury beschloss, soll die Aktiennotierung an der Frankfurter Börse bis Anfang März beendet werden. Demnach waren 93 Prozent der abgegeben Stimmen für den Rückzug. Dies entsprach 78 Prozent der ausstehenden Aktien. Damit ist eines der Basiskriterien nicht mehr erfüllt, um weiterhin dem Dax anzugehören, dessen Gründungsmitglied Linde 1988 war. Mittlerweile ist Linde mit 149 Milliarden Dollar Börsenwert sogar zum Schwergewicht im Dax aufgestiegen. Das Gewicht muss regelmäßig auf 10 Prozent gekappt werden, den Höchstwert, den die Deutsche Börse für ihren Index vorsieht.
Die wenigen deutschen Aktionäre bedauerten den Schritt von Linde. „Wir haben gegen das Delisting gestimmt“, sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Fondsgesellschaft Deka. „Bei der Übernahme von Praxair hatte Linde diesen Schritt ausgeschlossen. Das Delisting ist eine Enttäuschung. Damit wird deutlich, dass letztlich Praxair Linde übernommen hat und nicht umgekehrt. Es war eine Übernahme durch die Hintertür. Die Einstellung der Börsennotierung hat auch Nachteile für einen Teil unserer Kundinnen und Kunden, die nicht mehr in Linde-Aktien investieren können.“ Auch die Fondsgesellschaft Union Investment hatte angekündigt gegen den Schritt zu stimmen.
Nach den jüngsten Angaben der Beratungsgesellschaft EY sind jedoch nur 5 Prozent der Linde-Aktien in der Hand deutscher Aktionäre. Mindestens 56 Prozent befinden sich in amerikanischem Besitz. Linde hatte den Schritt vorgeschlagen, um den Aufwand eines Doppel-Listings in New York und Frankfurt zu beenden, dass mit Rechnungslegungsvorschriften nach US-Gaap und in Europa nach IFRS verbunden war sowie zwei Regulierungsregimen, der SEC in Amerika und der Bafin in Deutschland. In der Präsentation im Oktober, mit der Linde seinen Schritt erläuterte, wurde auch auf die Begrenzung des Gewichts im Dax hingewiesen, was immer wieder zu Aktienverkäufen durch Indexinvestoren führte.
Hauptsitz von Linde schon in Irland
Das Delisting in Frankfurt soll am oder um den 1. März erfolgen, wie Linde mitteilte. Die Indexinvestoren müssen bis dahin ihre Aktienbestände in Linde-Aktien komplett abbauen. Der Linde-Anteil im Dax wird von einem auf den anderen Tag auf Null fallen. Rund 15 Milliarden Euro stecken derzeit in Dax-Fonds. Die zehn Prozent von Linde entsprechen somit einem Gegenwert von 1,5 Milliarden Euro. Dazu kommen Fonds mit Anlageschwerpunkt in deutschen Aktien. Auch diese werden Linde-Aktien verkaufen müssen.
Für den Finanzplatz Deutschland ist der Rückzug von Linde ein herber Rückschlag. In der Liste der 100 wertvollsten Unternehmen auf der Welt ist Deutschland dann nicht mehr vertreten, anders als Dänemark, die Niederlande und natürlich Frankreich, die Schweiz und Großbritannien. Schon jetzt ist der Hauptsitz von Linde nach Irland verlegt worden. Dass ein in einem Auswahlindex der Deutsche Börse befindliches Unternehmen ein Delisting beschließt, gab es erst einmal, als Rocket Internet sich 2020 von der Börse zurückzog, damals aus dem S-Dax.
Die Herausnahme aus dem Index erfolgte zum letzten Handelstag in Frankfurt. Entsprechend dürfte es auch bei Linde gehandhabt werden. Nach aktuellem Stand würde Rheinmetall in den Dax nachrücken. Wenn bis zum Vollzug des Delistings die Commerzbank einen Jahresabschluss mit Gewinn für 2022 vorgelegt hat, würde auch sie die Dax-Kriterien erfüllen und würde wegen eines höheren Börsenwertes in den Dax aufgenommen. Die Jahresbilanz will die Commerzbank am 16. Februar vorlegen. Auf der Rangliste Ende Februar, die am 3. März veröffentlicht wird, wäre sie dann erstmals wieder als Dax-fähig eingestuft.